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Wenn das Auto zwischen Fernsehern und Kühlschränken steht - Trends im Neuwagenhandel

Wenn das Auto zwischen Fernsehern und Kühlschränken steht - Trends im Neuwagenhandel

Hat das Autohaus ausgedient? Der Neuwagenverkauf läuft immer stärker jenseits der klassischen Kanäle. Vor allem Newcomer verzichten auf ein großes Händlernetz.

SP-X/Köln. Geht das Autohaus den gleichen abschüssigen Weg wie die Kaufhäuser in der Innenstadt? Vor allem die neuen Pkw-Hersteller aus Asien verzichten bei ihrem Marktstart in Deutschland nicht selten auf die Glas-und-Stahlpaläste am Stadtrand. Und setzen stattdessen auf neue, flexiblere Verkaufskanäle – nicht nur im Internet. Ob Newcomer und Etablierte auf Dauer ganz auf den klassischen Vertragshändler verzichten können, ist aber fraglich.

Noch vor wenigen Jahren war es für eine neue Marke undenkbar, ohne leistungsfähiges Händlernetz auf dem deutschen Markt zu starten. Wo sonst sollten Kunden die Autos sehen, anfassen und testen können? Wo Probe fahren und den Kaufvertrag unterschreiben? Und vor allem: Wer repariert das Auto, wenn es Probleme gibt? Anbieter wie Lexus und Infiniti investierten nach der Jahrtausendwende mit gemischtem Erfolg viel Zeit und Geld, um zumindest ein paar wenige Standorte mit Showrooms und Werkstätten eröffnen zu können. Lexus hat dadurch zumindest seine Nische gefunden, Infiniti hingegen musste sich auch mangels Absatz wieder aus Deutschland zurückziehen.

Die neueste Flut an Newcomern macht es sich da einfacher. Beispielsweise der chinesischer E-Autohersteller Aiways: Das Unternehmen aus Shanghai verzichtet in Deutschland komplett auf Vertragshändler oder Niederlassungen und vertreibt seine Autos stattdessen über die selbstständigen Händler der Elektromarkt-Einkaufsgemeinschaft Euronics. Zwischen Kühlschränken und Spielekonsolen wird dort seit 2020 der Elektro-Crossover U5 und seit Neuestem auch dessen Coupé-Ableger U6 verkauft. Ganz ohne teuren Showroom, ohne ölverschmierte Werkstatt und ohne die oftmals gelangweilte Arroganz, die dem Kunden aus vielen Autohäusern entgegenweht. „Der Kunde informiert sich vorrangig über das Internet, soziale Medien oder Werbung über sein neues Fahrzeug. Es ihm zweitrangig, wo er sein Fahrzeug kauft, wenn der Service, das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Beratung passen“, fasst Aiways Deutschland-Chef Alexander Klose das Konzept zusammen. Für Service und Inspektion hat das Unternehmen eine Kooperation mit der Werkstattkette A.T.U geschlossen.

Einige Branchenkollegen dürften gelegentlich neidvoll auf das Aiways-Modell blicken. Denn das Verhältnis zwischen Autohandel und Herstellern ist schon lange ein angespanntes, geprägt vor allem von Kämpfen ums Geld, aber auch Konflikten um persönlichen Stolz. Der traditionell selbstbewusste Händler auf der einen Seite will sich aus den Vertriebszentralen der Konzerne nicht gängeln lassen, die Industrie den Look der Showrooms aber oft bis zur letzten Schraube oder zur ausgeschenkten Kaffeesorte mitbestimmen. Parallel dazu gibt es immer wieder heftige Kämpfe um die Vergütung, die über die Jahre zu Prämiensystemen geführt haben, die manchmal komplizierter sind als das deutsche Steuerrecht. Lange Jahre mussten sich beide Seiten mit der Situation arrangieren.

Christian Wittmer braucht das nicht. Der Euronics-Händler aus Ratingen bei Düsseldorf verkauft die Aiways-Stromer rein auf Kommission: „Für uns ist das ein Geschäft ohne Risiko. Und mit minimalem Aufwand.“ Eine Ausstellungsfläche benötigt er nicht, ebenso wenig eine Werkstatt. Auch spezielles Verkaufspersonal ist nicht nötig, Haushaltselektronik-Fachberater Miguel Lopez hat nach Herstellerschulung den Autoverkauf kurzerhand mitübernommen. Einziger echter Kostenpunkt: die monatliche Leasingrate für den Vorführwagen. „Solange die nicht höher ausfällt als die Provision, bleiben wir dabei“, sagt Wittmer. Schließlich locke das E-Auto auch neue Kunden in den Laden, die das Geschäft ohne das Elektrofahrzeug nie kennengelernt hätten, so Lopez.

Doch der Vertrieb ohne eigene Autohäuser hat Grenzen, wie aktuell auch der koreanische Luxusautobauer Genesis bemerkt. Die noch kleine, aber bereits sehr ambitionierte Hyundai-Tochter hatte zum Deutschland-Start zunächst komplett auf den Online-Verkauf gesetzt, ändert nun aber die Herangehensweise. „Wir haben erste Erfahrungen gesammelt und festgestellt, was läuft und was nicht so gut läuft. Jetzt sind wir in der Lage, den nächsten Schritt zu gehen“, erläutert Europa-Chef Lawrence Hamilton die geänderte Strategie. Er sucht nun 15 bis 20 Agenten als Vertriebspartner in ganz Deutschland, die die Sichtbarkeit der bislang nur wenig bekannten Marke erhöhen sollen. Denn allein über Online-Werbung und ein paar Kunden-Events pro Jahr lässt sich gegen die etablierten Konkurrenten aus Süddeutschland kein Land gewinnen. Gerade neue Anbieter, von denen in den nächsten Jahren viele aus China nach Europa kommen, brauchen Sichtbarkeit, um beim Kunden überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Erste Adresse sind für Hamilton daher nun große Hyundai-Händler, die eine weitere Marke aufnehmen wollen.

Doch dass auch andere Newcomer den klassischen Vertrieb über Vertragshändler mit Autohaus für sich nutzen, ist unwahrscheinlich. Das über Jahrzehnte etablierte Modell dürfte in näherer Zukunft eine wichtige Änderung erfahren: „Agenturmodell“ heißt der aktuell wichtigste Trend bei den Autoherstellern, der nicht bei allen klassischen Vertragshändlern gut ankommt. Denn er stuft sie vom selbstständigen Unternehmer zu reinen Verkäufern herab – der Kunden schließt den Neuwagenvertrag nicht mehr mit ihnen, sondern direkt mit dem Hersteller. Euronics-Händler Wittmer schätzt bei seinem Neben-Geschäft gerade diese Unabhängigkeit – mit dem Selbstverständnis der hauptberuflichen Autohausinhaber passt das aber oft nicht zusammen.

Die Autohersteller hingegen erhoffen sich vor allem mehr Zugriff auf das letzte und wichtigste Glied ihrer Vertriebskette. Engerer Kundenkontakt und bessere Verkaufspreiskontrolle sind aus ihrer Sicht nur zwei besonders prominente Vorteile.  Zuletzt hat etwa Mercedes angekündigt, noch in diesem Jahr das Agenturmodell einzuführen. „Durch die zentrale Preisgestaltung gibt es mit dem Agenturmodell einen bundesweit einheitlichen Preis und damit volle Angebotstransparenz, durch die jede Kundin und jeder Kunde überall den besten Preis erhält“, wirbt Vertriebs-Sprecher Stephan Frehlandt für das Modell, wobei „bester“ in erster Linie wohl „gleicher Preis“ und nicht selten „hoher Preis“ heißen wird.

Einen anderen Weg geht beispielsweise die Volumenmarke Toyota, die bewusst kein Agenturmodell anstrebt. Stattdessen setze man auf ein intensive Zusammenarbeit mit dem lokalen Händlernetz, heißt es in einer Mitteilung des drittgrößten Autoimporteurs in Deutschland. Der Verband der Toyota-Händler begrüßt das und sieht den stationären Handel weiterhin als wesentliche Säule im Vertriebssystem der Marke. Autohäuser an den Stadträndern und in prominenten City-Lagen wird es also bei den meisten Anbietern auch in Zukunft noch geben. Ob dort allerdings selbstständig agierende Autohäuser oder nur Verkaufsagenten arbeiten, wird man nicht auf Anhieb sehen können.

Holger Holzer/SP-X


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